Tod versus Geburt
Es ist der Kreislauf des Lebens und trotzdem für viele so weit weg: Hast du schon einmal einen Menschen beim Sterben begleitet? Oder eine Geburt, von Mensch oder Tier, miterlebt?
Ich war bei allem schon mehrfach dabei. Mein Leben lang. In meiner Kindheit lebte ich auf einem abgelegenen Bauernhof im Zürcher Oberland. Da sah ich die Geburten oder Todesfälle von unseren Kühen, Katzen, Hunden, Hasen, Hühnern, Ziegen oder Pferden. Und durch die Verantwortung meines Vaters in der Rolle als Jagdaufseher kamen noch all die verschiedenen Wildtiere dazu.
Was all diese Ereignisse gemein hatten, war die Spannung. Gerade erlebten wir wieder einen Abschied einer nahestehenden Person mit. Wieder wurde mir bewusst, wie sich die Spannung vor dem grossen Finale aufbaute. Zumal diesem ein langer und harter Leidensweg voranging.
Wer schon einmal selbst eine 10 Monate lange Schwangerschaft erlebte, oder nahe miterlebte, weiss, was ich mit Spannungsaufbau meine. Körperlich, geistig und seelisch angefüllt mit allen möglichen Freuden und Ängsten. Zur Geburt hin fiebert das gesamte Umfeld mit. Wenn diese dann endlich vollbracht ist und der erste Atemzug des gesunden Babys getan ist, macht sich so viel Freude, Erleichterung und Entspannung breit, wie man es sich kaum vorstellen kann.
Beim Sterben spürte ich immer Erlösung, Entspannung und dieselbe Dankbarkeit wie nach einer Geburt. Wenn man es noch nie selbst erlebte, denkt man immer zuerst an die Trauer: Die kommt auch, nur nicht unbedingt direkt zur selben Zeit. Genauso wie es auch nach einer Geburt zu Trauer kommen kann.
Die primären Gefühle für mich waren immer die Erlösung und die Erleichterung nach dem Eintreten des Todes. Natürlich erlebte ich das am intensivsten bei unserer Tochter: Ich konnte mir vorher nicht vorstellen, wie ich mich direkt danach fühlen würde. Obwohl ich drei Monate Zeit hatte, um mich auf diesen Moment vorzubereiten – auf dieses allumfassende erlösende, befreiende und dankbare Gefühl wäre ich allerdings in meiner Vorstellung nicht gekommen.
Ihr Todeszeitpunkt trat dafür ziemlich genau dann ein, wie ich es im Gefühl hatte, zwei Tage nach ihrer Diagnose. Ich war immer sehr eng mit ihr verbunden und im Kontakt, auch nach dem Verlassen ihres Körpers. Noch immer konnte ich mit ihr kommunizieren, auch wenn wir ihre Asche bereits in Saint-Malo dem Meer übergaben. Danach war dies für mich normal, entspannt und hilfreich, auch wenn ich in der Trauer um Julienne fast versank und keine Zukunftsaussichten mehr sah, ausser unserem geliebten Hund Lyra und natürlich meinem wichtigsten Menschen Simon.
Heute, und einige Geburten und Sterbefälle in meinem Leben später, reich an Erfahrungen und dankbar um alle Momente – weiss ich nur zu gut, warum mir das Thema Heilung so wichtig ist. Und auch, was die eigene Offenheit für das geistige Heilen bringen kann.
Jeder kommende Frühling, der die Sprösslinge der Pflanzen aus dem Schosse der Erde treibt, gibt mir Erläuterung über das bange Rätsel des Todes und widerlegt meine ängstliche Besorgnis eines ewigen Schlafs.
Friedrich Schiller
Alle Bilder von Sandra Hürlimann
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