Wann war dein traurigster Moment im Leben?

 

Julienne Alessandra Hürlimann 11.08.11 – 18.04.12

Wie ist es sein Kind zur Regenbogenbrücke zu begleiten?

 

 

Bei uns nehmen viele an es wäre der Tod unserer Tochter gewesen. In Realität war es der Moment am 12.01.2012 - als gleichzeitig Juliennes Grossvater 60 Jahre alt wurde und ihre Urgrossmutter beerdigt wurde. Wir entschuldigten uns mit fadenscheinigen Ausreden, nicht teilnehmen zu können, weil unser Kinderarzt schon vor Wochen empfahl, niemanden über Juliennes fehlende körperliche Entwicklungen zu informieren, solange wir keine klare Diagnose hätten.

 

Dies war sehr schwierig. Zum einen fand Simon sofort heraus, was er schon länger vermutete und lebte bis zum Neurologentermin mit viel Migräne vor lauter Sorgen. Ausserdem stand Juliennes Taufe, Weihnachten und Neujahr vor der Tür und auch das Schlaf- und Stillthema war noch schwieriger als sonst schon. Wie also sollten wir diese Tatsache vor der Welt verheimlichen?

 

Ich blieb immer im Moment, bzw. war eng mit meinem Baby verbunden und ignorierte alle möglichen Optionen was an meinem perfekten Kind nicht hätte gut sein sollen. Noch vor dem Neurologen Untersuchungstermin sagte ich zu Simon, dass er sich entspannen soll, ich liesse mich auch nicht durch allfällige Diagnosen beeindrucken. Eine Zweitmeinung können wir je nach dem sowieso noch rasch einholen.

 

Dann kam der Moment als wir die sehr sympathische Neurologin – sie war in etwa im selben Alter wie wir - kennen lernten. Sie untersuchte unsere Tochter ausgiebig und liebevoll. Am Punkt, als sie ihre Arme und Beine unnatürlich fest verdrehte schaute ich weg. Julienne ging es allerdings die ganze Zeit bestens. Gleichzeitig sank die gute Stimmung der Ärztin und sie wollte nur noch möglichst rasch die Oberärztin einbeziehen. Diese sei allerdings im Nebenhaus und es würde einen Moment dauern.

 

  

 

Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit nahm die gerufene Oberärztin dieselben Untersuchungen vor, allerdings kürzer und noch intensiver. Zum Abschluss wollte unbedingt Simon unser Baby auf den Arm nehmen. Ich verstand gar nicht warum. Schliesslich sassen wir zu Zweit nebeneinander den beiden Ärztinnen vis-à-vis.

 

Gesprochen wurde noch immer nicht und als ich sah wie der jüngeren Ärztin quasi die Tränen in den Augen standen, fragte ich die Oberärztin, wie lange wird sie noch leben? Beide waren perplex und konnten immer noch nicht wirklich sprechen, schon gar nicht in meinem Tempo, also fragte ich: sie wird schon 10 Jahre alt, oder? Von da an versuchte mir die Oberärztin mitzuteilen, dass es sein könnte, dass Julienne evtl. 3 Jahre alt würde, eher wohl, wenn überhaupt 2 Jahre. Da war er, mein schlimmster Moment bis jetzt im Leben. Schwarz, ich dachte zu ersticken.

 

Dann zurück im Mami-Action-Verantwortungsmodus wollte ich sofort wissen, wie ich mich sofort besser versichern könnte, mit allem Mitgefühl der Welt versuchten sie mir ab da klarzumachen, dass ich mir darüber keine Sorgen zu machen bräuchte, die IV würde alles übernehmen. Ich hatte keine Ahnung was das alles heissen sollte. Auch als ich dann fand sofort einen extra Nothilfe Kurs machen wollte, um mein Baby bei Erstickungsanfällen korrekt zu begleiten, beruhigten sie mich und sagten, dass ein extra Nothilfearzt uns einen Kurs geben würde.

 

 

 

So ging es weiter, wir wurden über die künftige Begleitung durch die Kinder-Spitex informiert und auch meine sofortigen Fragen wie der Tod verlaufen würde erklärten sie mir so klar und sanft wie es ging.

 

Die jüngere Ärztin nahm dann noch in einer aufwändigen Prozedur verhältnismässig viel Blut an Juliennes Füsschen ab. Ich weinte vor Erschütterung ohne Ende und empfand das Blutabnehmen das mit Abstand schlimmste für Julienne. Auch wenn es im Vergleich zum Rest, was sie noch alles erleben würde, ein Witz war - sie wurde schlussendlich 8.5 Monate alt. In der genetischen Untersuchung, wurde fast drei Wochen später ihre spinale Muskelatrophie Typ 1 / SMA1 bestätigt.

 

Auf dem Heimweg - ich erinnere mich mit aller Klarheit an den eiskalten wunderschönen Abend - war der Himmel rosa verfärbt. Ich schaffte es fast nicht das Spital zu verlassen, die Tränen liefen mir pausenlos zu den Augen hinaus. Ich drückte Julienne an mich und Simon hielt uns fest im Arm und begleitet uns zum Auto. Erst da erinnerte ich mich wieder an meine klare Eingebung, ca. 1.5 Monate nach ihrer Geburt, es war wie eine grosse schwarze Wolke über mir, sie würde nicht so lange bei uns bleiben.

 

Was bleibt? Die ewige Liebe und Präsenz in unserem Herzen, als auch in und um uns von unserer geliebten Tochter. Die lebenslange Dankbarkeit, dass sie uns aussuchte und wir für sie da sein durften. Die grosse Wertschätzung und unser Glück genau hier in Winterthur zu leben, umgeben gewesen zu sein, von stehts den richtigen Leuten zur rechten Zeit. Ein grosses Privileg - denn mir ist täglich bewusst, dass ein Grossteil von Kindern und Familien auf dieser Welt nicht denselben Zugang zu medizinischer Hilfe und Unterstützung haben. Diese Ungerechtigkeit macht mich dann richtig traurig.

 

 

   

  

"Hast du Angst vor dem Tod", fragte der kleine Prinz die Rose. Darauf antwortete sie: "Aber nein. Ich habe geblüht und meine Kräfte eingesetzt soviel ich konnte. Und Liebe, tausendfach verschenkt, kehrt wieder zurück zu dem, der sie gegeben. So will ich warten auf das neue Leben und Ohne Angst und Verzagen verblühen.                                                 

 

Antoine de Saint-Exupéry

 

Alle Bilder von Sandra Hürlimann

 

 

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Kommentare: 7
  • #1

    Asel (Sonntag, 18 April 2021 08:59)

    Liebe Sandra, das ist sehr stark! So was zu erleben ��
    Ganz feste Umarmung �

  • #2

    Sabrina (Sonntag, 18 April 2021 10:02)

    Danke liebe Sandra, dass ich an einem Deiner wichtigsten Momente im Leben teilhaben darf, ich umarme Dich von ganzem Herzen

  • #3

    Aurelia (Sonntag, 18 April 2021 10:15)

    Liebi Sandra. Danke viel mal für dini Wort. Ich bin sehr dankbar, han ich d Julienne därfe kännelerne und bin tüf bedruckt vo ihrem Wese. Sie warted im Himmel uf eu und lueget für eu. Schick dir ganz e dicki Umarmig ���✨

  • #4

    Maude (Sonntag, 18 April 2021 10:40)

    Liebi Sandra, was für ein tief berührender Text. Vielen Dank, dass du ihn in so wenigen klaren Worten teilst!
    Julienne ist so eine starke Persönlichkeit und hat in ihrem kurzen Leben auf der Erde so viel Liebe gegeben und empfangen. Ich bin in Gedanken bei euch! Alles Alles Liebi Maude

  • #5

    Julia (Sonntag, 18 April 2021 15:16)

    Liebe Sandra, lieber Simon, wir haben Julienne auch in unser Herz geschlossen. Sie war ein wunderbares Mädchen, Ihr kurzes Leben war für uns allen ein Geschenk. Ihr verschmolzenes Lächeln vergessen wir nie.
    Alles Liebe Julia

  • #6

    Anita (Sonntag, 18 April 2021 15:17)

    Mir laufen die Tränen. Erlebt wie wenn es gestern war. Ich schaue meinen Sohn an und denke wie gross sie jetzt wäre. Wie kann ein Mutterherz je wieder heilen.

  • #7

    Mirjam Maag-Stähli m.rotizora@gmail.com (Freitag, 30 Dezember 2022 16:42)

    Liebe Sandra
    Eigentlich wollte ich nur deine Adresse aufnehmen und bin dann auf bunnstyler gelandet. Julienne - eure Geschichte hat mich tief berührt… unser kleiner Enkel, Arvid Louis Maag, ist jetzt 5 Wochen alt und will leben. 2 OP hat er überstanden er wächst und nimmt zu, es dauert aber noch bis er nachhause darf! Hoffnung, Zuversicht, Vertrauen, Dankbarkeit - unsere Familie ist stark! Alles Liebe, Mirjam